Atelier Ines Rosemarie Geister
Atelier Ines Rosemarie Geister
Veröffentlicht bei "Schreib-Lust" im Dezember 2007


Das Monopol



„Wenn das so weitergeht, muss ich den Hof verkaufen.“ Landwirt Hannes stand im Stall, rieb sich das Kinn und betrachtete seine Tiere. „Keine einzige Sau hat bisher geworfen. Klaus? Du hast doch alles so gemacht, wie immer?“ Hannes drehte sich seinem Sohn zu, der ein paar Schritte entfernt Futter in einen Koben warf.

„Jau Vadder, so, wie immer. Habe von Kuddel sein Eber die Samenportionen geholt und damit alle Mädels hier befruchtet.“ Klaus hob das Kinn in Richtung der zwanzig Säue.

„Dann muss mit Kuddels Eber wat nich stimmen.“ Hannes schlug seine rechte Faust in die flache linke. „Eine andere Möglichkeit bleibt nicht. Ist die Rechnung von Kuddel schon da?“

„Bis jetzt nich. Aber Post-Uli hat vorhin was in den Kasten geworfen. Ich gucke mal, vielleicht war sie ja dabei.“

Hannes nickte. „Jau Sohn, mok dat mal.“ Besorgt stieg er in den Stall seiner besten Säue. „Mädels, Mädels, wat is nur los mit euch?“ Vornübergebeugt streichelte er mit seiner schwieligen Hand über die Köpfe einiger Tiere.

„Also von Kuddel war nichts dabei“, rief Klaus schon von weitem. „Aber der hier lag drin.“ Er wedelte mit einem grün-weißen Umschlag.

Hannes nahm den Brief entgegen. „Von Kontanto? Was wollen diese Verbrecher denn von mir? Ihren gentechnisch veränderten Futterscheiß können die behalten.“ Er riss den Umschlag auf und las den Brief, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. „Hier, kannste gleich wegschmeißen. Werbepost.“ Er gab seinem Sohn das Schreiben. „Jetzt drehen die total durch. Die haben an Schweinen Gene verändert und wollen, dass wir sie für unsere Zucht benutzen. Besonders schnell schlachtreif sollen sie werden.“ Hannes schlug sich die Hände auf den Kopf. „Wo soll uns dieser ganze Genveränderungswahn noch hinführen?“ Er nahm die Hände wieder runter und zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf seinen Sohn. „Also eins steht fest. Von denen werden wir niemals etwas kaufen. Ist das klar?“

Klaus nickte und zerknüllte den Brief.

„Ich ruf jetzt Kuddel an. Soll der mal gucken, wat mit sein Eber los is. So geit dat ja nu nich.“

Aufgebracht verließ Hannes den Stall, als eine dunkle Limousine auf den Hof glitt. Er blieb stehen und sah dem Fahrzeug entgegen.

Drei Türen öffneten sich und ebensoviele Männer stiegen aus. Einer trug einen hellgrauen, fast silbern schimmernden Anzug und schien der Chef zu sein. Die beiden anderen waren komplett in schwarzes Leder gekleidet und bewegten sich, als hätten sie bei jeder Bewegung Schmerzen. Wie ein Kater, der einem Rivalen mit einem Buckel droht, bauten sie sich neben dem Fahrzeug auf und falteten mit abstehenden Ellbogen die behandschuhten Hände ineinander.

„Guten Tag“, sagte der Anzugträger, ohne sich vorzustellen. „Schön haben Sie es hier.“ Er sah sich um. „Weite Felder in der Umgebung. Sind das alles Ihre? Die Rapsfelder und die Maisfelder, an denen wir eben vorbeigefahren sind?“ Er sah Hannes an und bleckte in einem Grinsen seine Zähne.

„Jau. Futter für unsere Tiere. Die kriegen nur das Beste. Wieso? Wollen Sie ein Schwein kaufen?“

„Oh nein, nein, nein.“ Der Mann hob abwehrend seine Hände. „Ich möchte kein Schwein kaufen. Wissen Sie, wir interessieren uns nur für die Lebensweise der heimischen Landwirte. Wie sie so leben, und was sie züchten.“

„Wer sind Sie?“ Hannes zog die Stirn kraus. Nicht nur, dass die Gestalten unsympathisch waren, ihre Neugier machte ihn wachsam. Ein innerer Instinkt warnte ihn. Im Gasthaus erzählten sich die Leute immer öfter über die Vorgehensweise dubioser Typen. Einige befreundete Landwirte hatten die Praktiken der Biotechnologiefirma Kontanto schmerzhaft kennengelernt. In gutem Glauben kauften sie gentechnisch verändertes Saatgut, das die Ernte vor Schädlingsbefall schützen sollte. Wie sich aber herausstellte, war das nicht der Fall. Ganz im Gegenteil mussten nun mehr Pestizide als jemals zuvor auf die Felder gebracht werden. Als die Landwirte die Verträge mit Kontanto kündigen wollten, wurden sie bedroht. Vor allem diejenigen, die eigentlich nichts mit der Firma zu tun hatten. Plötzlich wurden angeblich Spuren des veränderten Saatgutes auf ihren Feldern nachgewiesen, und bevor sie sich versahen, wurden sie mit Patentschutzklagen von Kontanto überhäuft.

Hannes wußte nicht, warum ihm diese Gedanken gerade jetzt kamen, aber diese drei sahen ihm verdammt nach solchen Einschüchterern aus.

„Verzeihen Sie. Wie unhöflich. Sie haben natürlich Recht. Ich hätte mich vorstellen sollen.“

So, als wäre ihm ein Missgeschick passiert, zog er mit geübter Bewegung eine Visitenkarte aus dem Jackett.

„Mein Name ist Hermes. Wir kommen von der Firma Kontanto und wollten Sie persönlich kennenlernen und uns nach Ihren Zuchterfolgen mit unserem neuestes Produkt erkundigen.“

„Kontanto? Das habe ich mir fast gedacht“, herrschte Hannes den Mann an. „Steigen Sie sofort wieder in Ihr Auto und verlassen auf der Stelle mein Land. Solche wie Sie will ich hier nicht sehen und ich will auch mit Ihrer Firma nichts zu tun haben. Verschwinden Sie.“

„Aber, aber, wer wird denn gleich so aufgebracht sein? Wir wissen doch, dass ...“

„Wenn Sie nicht sofort von meinem Land verschwinden, rufe ich die Polizei.“

„Die Polizei?“ Hermes wandte sich seinen Gorillas zu, die nun, wie ferngesteuert, auf den Stall zusteuerten. „Warum wehren Sie sich so?“ Seine Stimme klang süß wie Zuckerwatte. „Sie haben unsere Produkte in Anspruch genommen, und jetzt ...“

„Was habe ich?“ Hannes japste nach Luft. „Gar nichts habe ich. Von Ihrer Firma will und werde ich nichts kaufen.“

„Nun, das stimmt so nicht. Wenn Sie mal sehen wollen?“ Erneut griff er in sein Jackett und holte ein sorgsam gefaltetes Blatt Papier heraus, das er auseinanderfaltete. „Kaufvertrag und Lieferschein“, las er vor. „Abgeholt von Herrn Reimers, Hamburg-Kirchwerder, 5 Spermaportionen der Rasse Kontanto-Pietrain sowie 3 Spermaportionen der Rasse Kontanto-Deutsches Sattelschwein.“ Er nahm das Blatt runter. „Gute Wahl übrigens. Sie müssen wissen, dass alle unsere Endstufeneber im Feldtest unter Produktionsbedingungen auf Kreuzungseignung getestet wurden.“

Hannes steckte sich einen Zeigefinger in den Kragen seines Hemdes und streckte den Hals. Er nahm dem Mann den Zettel aus der Hand, um Zeit zu gewinnen und nachzudenken. Dann hatte er sich wieder im Griff.

„Das muss ein Fehler sein. Ich kaufe mein Zuchtmaterial bei einem benachbarten Landwirt und nicht bei Ihrer Verbrecherorganisation, und jetzt rate ich Ihnen, sich in Ihr Fahrzeug zu setzen und ...“

„Was und?“ Gesichtsausdruck und Stimme von Hermes verloren alle Freundlichkeit. „Wollen Sie mir drohen? Sie haben noch eine Rechnung zu bezahlen.“

„Ich habe keine Rechnung bei Ihnen zu bezahlen.“

Die beiden Gorillas kamen, gefolgt von Klaus, aus dem Stall und nickten dem Anzugträger zu. „Alles erledigt, Chef.“

„Also gut“, sagte dieser und fixierte Hannes mit eisigem Blick. „Wie Sie wollen. Aber ich weise Sie darauf hin, dass die Firma Kontanto ein Patent auf Schweine hat, und da Sie sich scheinbar weigern, die fälligen Gebühren für die jeweilige Zucht zu bezahlen, sieht sich das Unternehmen gezwungen, gegen Sie eine Patentschutzklage einzureichen.“

„Jetzt reißt mir aber der Geduldsfaden“, schrie Hannes unvermittelt. Seine Gesichtsfarbe veränderte sich in ein dunkles Johannisbeerrot. Er drehte sich um, stürmte zurück zum Stall, griff sich den Spaten, der neben der Tür stand und stürmte wieder zurück auf die Männer zu.

Einer der Männer stellte sich ihm in den Weg, während die anderen beiden in den Wagen einstiegen. Bevor Hannes diesen erreichen und mit dem Spaten zuschlagen konnte, traf ihn die Faust des Mannes mitten im Gesicht.

Schmerzerfüllt und mit gebrochener Nase ging Hannes zu Boden, der sich sofort blutig verfärbte. Der Motor des Wagens wurde gestartet, und langsam rollte die Karosse vom Gelände.

Klaus eilte seinem Vater zu Hilfe und reichte ihm einen Lappen, um die Blutung aus der Nase zu stoppen.

„Was hast du gemacht?“ fragte Hannes mit eisiger Stimme.„Bist du völlig übergeschnappt?“

„Es tut mir Leid“, stammelte Klaus, stand auf, ging drei Schritte und drehte sich wieder seinem Vater zu, der sich nun auch aufrichtete. „Ich wußte doch nicht, dass die gleich so rabiat werden.“

„Wie konntest du das tun und wie bist du überhaupt an dieses Pack geraten?“ Hannes' Nase blutete noch immer, so dass er weiterhin den Lappen vor das Gesicht hielt.

„Das war neulich. Als ich in der Stadt war, um bei den Pferdewetten mitzumachen. Da hat mich einer angesprochen und mich zum Pokern eingeladen. Er meinte, ich könnte schnelles Geld machen.“

„Schnelles Geld? Beim Pokern? Wie dumm bist du eigentlich, Sohn?“

„Ich weiß, es war ein Fehler.“ Verzweifelt schlug Klaus die ausgestreckten Arme an die Beine und sah mit Tränen in den Augen zum Himmel.

„Ein Fehler, ja. Aber wie kamst du an die Samenportionen von Kontanto?“

„Es war kein Geld mehr da.“ Klaus zog die Nase hoch. „Da hat mir einer von denen angeboten, mir die Portionen vorübergehend kostenlos zur Verfügung zu stellen.“

„Oh, Sohn, wie dumm bist du eigentlich? Jetzt haben wir hier gentechnisch veränderte Tiere, die Unfruchtbar sind. Bist du dir eigentlich der Tragweite bewusst?“

„Jetzt ja. Ich habe nicht nachgedacht. Verzeih mir.“

„Wenn die tatsächlich ein Patent auf Schweine haben und ein weltweites Monopol, nicht nur für genverändertes Saatgut, anstreben, haben wir nicht nur unseren seit vier Generationen in Familienbesitz befindlichen Hof verloren, sondern alle Menschen haben verloren.

Der Geruch von brennendem Holz drang zu ihnen hinüber, und als sie zum Stall sahen, schlugen die Flammen schon aus dem Dach des dahinterliegenden Heuschobers bis weit in den Himmel.

„Jetzt weiß ich auch, warum der eine vorhin so interessiert an den Schweinen war“, jammerte Klaus. „Die haben mich abgelenkt, damit ich nicht mitbekommen, wie der andere eine Lunte legt.

„Hol den Schlauch, du Nichtsnutz. Wir müssen löschen. Wenn das Feuer auf das Haus übergreift, haben wir gar nichts mehr“, brüllte Hannes, während er zum Telefon rannte, um die Feuerwehr anzurufen.


© Ines Geister 2007